«Es hat sich rasch herumgesprochen, dass wir im Gemeinschaftsraum sind»

Miriam Meier (63) wurde in Brasilien geboren und ging in der Westschweiz zur Schule. 1979 lernte sie in Zürich ihren Mann kennen und blieb. Sie arbeitete als Récéptionistin und Reiseführerin in Südamerika, als Übersetzerin in der Schweiz und lange als Kulturvermittlerin in einer Zürcher Pfarrei. Daneben war sie immer auch Künstlerin. Seit ihrem Einzug in die SAW-Siedlung Erikastrasse engagiert sie sich auf vielfache Weise für die Gemeinschaft.

«Als wir uns vor etwa zehn Jahren für eine Wohnung bei der SAW anmeldeten, hatte die Stiftung Alterswohnungen noch keine Siedlung in Wiedikon. Das war unser Traumquartier, aus dem wir anfangs der 1990er Jahre nur mit schwerem Herzen nach Altstetten gezogen waren, weil unsere Wohnung an der Kalkbreitestrasse zu klein war für die Familie. Als wir vor drei oder vier Jahren erfuhren, dass die SAW an der Erikastrasse baut, haben wir uns sofort gemeldet. Aber es brauchte dann noch ein paar Runden, bis wir unsere Wohnung an der Bremgartnerstrasse beziehen konnten. Sie ist etwas kleiner als wir uns ursprünglich gewünscht hätten, dafür liegt sie im 4. Stock und ist hell und freundlich. Wir sind urbane Menschen, uns gefällt es, wenn etwas läuft. Und hier hat es wirklich ein paar sehr nette Nachbarinnen und Nachbarn. Darum kam ich schon bald auf die Idee, einen gemeinsamen Mittagstisch zu organisieren. Meine Eltern waren Hoteliers und ich habe lange in der Tourismusbranche gearbeitet – Gastgeberin zu sein, liegt mir wohl im Blut. Ich koche gerne, auch für viele Leute.

Miriam Meier erzählt über ihr Leben und ihre Aktivitäten in der Siedlung Erikastrasse.

Rasch bildete sich eine Gruppe von zunächst acht, später bis zu 25 Leuten, die einmal im Monat zusammen kochten und zu Mittag assen. Je nachdem, wer schon beim Planen, Einkaufen und Kochen dabei war, gab es mal türkische, mal brasilianische, französische oder schweizerische Rezepte. Aber eigentlich ging es uns allen mehr um die Gemeinsamkeit: Es ist einfach schön, zusammen zu kochen und zu essen, sich auszutauschen, etwas zu unternehmen. Der Mittagstisch fand regelmässig einmal im Monat statt. Wegen Corona mussten wir im Frühjahr 2020 eine grössere Pause einlegen. Schliesslich gehören wir alle zur Risikogruppe und einige haben auch Vorerkrankungen. Da sind Aktivitäten, bei denen man schlecht Distanz halten kann, viel zu gefährlich.

Jeden Montagnachmittag organisierte ich ausserdem ein Malatelier im Gemeinschaftsraum. Ich deckte alles mit Plastik ab, damit wir nichts verschmutzen, und stellte das Material zur Verfügung. Wir waren meist nur zu dritt oder zu fünft, aber es stiessen immer wieder Nachbarinnen oder Nachbarn «auf einen Schwatz» zu uns. Es hatte sich bald herumgesprochen, dass wir am Montag im Gemeinschaftsraum am Malen sind, und es machte den Leuten im Haus Freude, uns zu besuchen. Wir arbeiteten alle an unseren eigenen Projekten: Jemand zeichnet, eine andere arbeitet an Collagen und einmal stiess eine Nachbarin dazu, die eine Holz-Eule bemalen wollte. Es ist inspirierend, wenn man gemeinsam kreativ sein kann und nicht alleine im stillen Kämmerlein vor sich hin werkelt. Und natürlich bin ich immer bereit, Tipps zu geben.

«Es ist einfach schön, zusammen zu kochen und zu essen, sich auszutauschen, etwas zu unternehmen.»
Miriam Meier (63), Siedlung Erikastrasse

Spannend war auch der «Graffiti4All»-Workshop, wo wir uns intensiv mit der Geschichte, Theorie und selbstverständlich auch mit der Praxis des Sprayens auseinandergesetzt haben. Als Abschlussprojekt haben wir am Letten zuerst die Wände und dann ein riesiges Transparent mit unseren Spraydosen bemalt. Das Transparent hängten wir dann an der Fassade der Siedlung auf (siehe Foto). Aber weil der Wind an der Seebahnstrasse zu stark ist, mussten wir es wieder entfernen – es wäre sonst zerrissen.

Gemeinsamer Mittagstisch an der Erikastrasse: Wenn das Wetter schön ist, wird das Essen in den Innenhof verlegt. Foto: Miriam Meier.
Gemeinsamer Mittagstisch an der Erikastrasse: Wenn das Wetter schön ist, wird das Essen in den Innenhof verlegt. Foto: Miriam Meier.
Wenn es draussen zu kalt oder zu nass ist, findet der selbstorganisierte Mittagstisch im Gemeinschaftsraum statt. Foto: Miriam Meier.
Wenn es draussen zu kalt oder zu nass ist, findet der selbstorganisierte Mittagstisch im Gemeinschaftsraum statt. Foto: Miriam Meier.
Das Auge isst mit: Schön dekorierte Tische und türkische Spezialitäten am Mittagstisch in der Erikastrasse. Foto: Miriam Meier.
Das Auge isst mit: Schön dekorierte Tische und türkische Spezialitäten am Mittagstisch in der Erikastrasse. Foto: Miriam Meier.
Auch die Speisen wollen in dieser Atmosphäre schön angerichtet sein. Foto: Miriam Meier.
Auch die Speisen wollen in dieser Atmosphäre schön angerichtet sein. Foto: Miriam Meier.
Gemeinsam kochen und die Rezepte der Nachbarn kennenlernen - ein Genuss! Foto: Miriam Meier.
Gemeinsam kochen und die Rezepte der Nachbarn kennenlernen - ein Genuss! Foto: Miriam Meier.
Gemeinsam essen macht Appettit: Herbstlicher Mittagstisch an der Erikastrasse. Foto: Miriam Meier.
Gemeinsam essen macht Appettit: Herbstlicher Mittagstisch an der Erikastrasse. Foto: Miriam Meier.
Ghackets mit Hörnli, Öpfelmues und Salat: Auch Schweizer Spezialitäten bereichern den Mittagstisch an der Erikastrasse. Foto: Miriam Meier.
Ghackets mit Hörnli, Öpfelmues und Salat: Auch Schweizer Spezialitäten bereichern den Mittagstisch an der Erikastrasse. Foto: Miriam Meier.
Zeit für Konzentration und Gespräche: Wenn der Gemeinschaftsraum sich in ein Malatelier verwandelt. Foto: Miriam Meier.
Zeit für Konzentration und Gespräche: Wenn der Gemeinschaftsraum sich in ein Malatelier verwandelt. Foto: Miriam Meier.
Im Malatelier lassen sich unbeschwert verschiedene Techniken ausprobieren. Foto: Miriam Meier.
Im Malatelier lassen sich unbeschwert verschiedene Techniken ausprobieren. Foto: Miriam Meier.
Ein Büchlein für die Enkelkinder, das Malatelier bietet Raum und Zeit. Foto: Miriam Meier.
Ein Büchlein für die Enkelkinder, das Malatelier bietet Raum und Zeit. Foto: Miriam Meier.
Für den Graffiti-Workshop zogen die Teilnehmer*innen ins Atelier von Miriam Meier um. Foto: zVg.
Für den Graffiti-Workshop zogen die Teilnehmer*innen ins Atelier von Miriam Meier um. Foto: zVg.
Für den Graffiti-Workshop zogen die Teilnehmer*innen ins Atelier von Miriam Meier um. Foto: zVg.
Für den Graffiti-Workshop zogen die Teilnehmer*innen ins Atelier von Miriam Meier um. Foto: zVg.
Für den Graffiti-Workshop zogen die Teilnehmer*innen ins Atelier von Miriam Meier um. Foto: zVg.
Für den Graffiti-Workshop zogen die Teilnehmer*innen ins Atelier von Miriam Meier um. Foto: zVg.

Seit Jahren habe ich auch mein eigenes Atelier, in dem ich Kurse gebe und selbst male. Entstanden ist das während meiner Zeit in Altstetten: Rund 18 Jahre lang arbeitete ich in der Pfarrei Heilig Kreuz im Restaurant, organisierte Anlässe und Ausstellungen und gab Kurse in kreativem Malen. Als ich in der Kirche aufhörte, machte ich in meinem eigenen Atelier weiter. Kürzlich habe ich erstmals auch Stoffe entworfen, aus denen Simone Ammann, die in den Gewerberäumen der Siedlung ihr Nähatelier für Dessous hat, Unterwäsche nähen wird. Ich freue mich schon sehr darauf, die fertigen Stücke zu sehen.

Die Tablets4All-Kurse habe ich mitgemacht – bis zu dem Punkt, den ich nötig fand. Ich wollte wissen, wie die WashMaster-App zur Reservation der Waschmaschinen funktioniert und wie man mit HomeBeat Nachrichten verschickt. Das genügt mir vollständig. Ich interessiere mich nicht sonderlich für Internet und E-Mail und all den Kram, sondern erschaffe lieber etwas Konkretes mit meinen Händen. Aber trotzdem habe ich ein Instagram-Account, auf dem ich meine Bilder präsentiere. Und auf Facebook habe ich viele Freunde und Bekannte aus dem brasilianischen Kulturkreis. Da erfahre ich Dinge, die nicht in den hiesigen Zeitungen stehen.

Ich stehe noch mitten im Leben, obwohl ich bald AHV beziehen werde. An drei Tagen der Woche arbeite ich in einem Kleiderladen in Basel, der auch meine Bilder und Vasen ausstellt. Das hat sich zufällig ergeben und macht mir grossen Spass. Dass wir älter werden, merkte ich aber schon. Wenn heute eine Nachbarin krank wird, geht es öfter um Leben und Tod als früher in Altstetten, wo der Altersdurchschnitt viel tiefer lag. Damit muss man sich auseinandersetzen. Ich setze diesen Gedanken meine farbenfrohen Bilder entgegen, denn ich bin überzeugt: Freude ist die beste Medizin».